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Eine Eröffnungsrede
Von Matthias Hassenpflug
Liebe Gäste, liebe Eva,
ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu dieser fabelhaften Ausstellung mit Holzschnitten von Eva Pietzcker aus Kreuzberg.
Ein großer Zufall hat uns hier zusammen gebracht. Ulrike und ich lieben Ausstellungen, die in irgendeiner Form auch mit einem Buch zu tun haben. Das von der Buchgestalterin und ehemaligen FH-Professorin Betina Müller aus Potsdam gestaltete Buch “Berge und Flüsse”, erschienen im VACAT Verlag, ist sowohl als Buch-Gegenstand als auch als Bildträger der unglaublich schönen Holzschnitte von Eva Pietzcker ein Kunstwerk für sich. Wir stießen auf der letzten Leipziger Buchmesse darauf und begannen unsere Recherche. Schon bald standen wir in Eva Pietzckers Druckwerkstatt in Kreuzberg, wo sie arbeitet, zwei obdachlosen Katzen ein guter Gastgeber ist und Holzschnitt-Kurse gibt.
Ich habe mir die Frage gestellt, warum mir und bestimmt Ihnen auch die Holzschnitte von Eva Pietzcker so gut gefallen? Ich meine, dass diese tolle Wirkung durch zwei Transformationsprozesse erreicht wird. Der eine Veränderungsprozess findet auf der Produzentenseite statt, er ist - das ist das Besondere - ein zweifacher.
Die andere Transformation geschieht auf der Rezipientenseite, bei uns, dem Betrachter.
Klar, Bilder werden in jedem künstlerischen Prozess transportiert und erfahren durch diesen Informationsfluss per se Veränderungen. Ich glaube aber, dass es bei Evas Bilder interessant ist, darüber nachzudenken, warum wir ihre Arbeiten so wahnsinnig toll finden.
Eva Pietzckers Drucke wirken auf uns zunächst so einzigartig, weil auf ihnen keine Spuren des handwerklich aufwendigen Entstehungsprozesses ersichtlich sind. Dieser Prozess besteht aus mehreren Schritten.
Am Anfang steht die Skizze, die Eva Pietzcker vom Rhein, aus Wyoming oder aus Japan mitgebracht hat. Eva Pietzcker reist gerne. Für diese Aquarelle nutzt sie ein eigenes Codierungssystem, in dem sowohl die sichtbaren, später in Farbe gedruckten Stellen markiert sind, als auch jene, die beim darauf folgenden Holzschnitzen ausgespart und also weiß bleiben.
Alleine diese Skizzen bezeugen Eva Pietzckers herausragende Fähigkeit des Sehens. In den kurzen Augenblicken, in denen sie die Perspektive wählt und mit schnellem Pinsel die verschiedenen Drucklagen analysiert, in dieser rasend kurzen Zeit muss sie den fertigen Druck bereits vor Augen sehen. Dies ist der Moment der künstlerischen Inspiration, sozusagen der Moment, in dem in Eva Pietzcker der Blitz der Genialität einschlägt.
Die Arbeit im Atelier, das Entziffern der Skizzen, die Übertragung mittels Schnitzmessern auf die Holzbretter, erfordert eine besondere Konzentration und Abstraktion. Der künstlerische Höhepunkt im eigentlichen Sinne liegt ja für Eva Pietzcker schon hinter ihr. Jetzt geht es um konzentrierte Entzifferung ihrer Skizze. Die Anwendung ihrer durch Studien an den Kunsthochschulen in Nürnberg und Berlin, in Meisterkursen in Japan und jahrelanger Praxis erworbenen handwerklichen Fähigkeiten.
Die Herstellung der Druckstöcke ist ja schon die zweite Übertragung des Bildes, das Eva Pietzcker in sich trägt. Diese zweimalige Übertragung verlangt ein besonders trainiertes, räumliches Gedächtnis. Und die Fähigkeit einen Raum in Schichten zu denken, wobei die Schwierigkeit zu bewältigen ist, in einer Druckschicht Elemente von Vorder-, Mittel- und Hintergrund mit zu denken. Diese Art des räumlichen Denkens und Vorstellens ist dem eines gewöhnlichen Betrachters völlig verschieden. Eva Pietzcker nimmt ein komplexes Bild gedanklich auseinander, verbindet diese Teile neu und formt sie nach ihren Bedürfnissen. Ein wenig so, wie ein Genetiker einen komplizierten DNA-Strang, auch ein dreidimensionales Objekt, auflöst, um seine Bestandteile zu einem vielleicht noch perfekteren Wesen wieder zusammen zu setzen.
Wird das Bild durch diese zweimalige gedankliche Verarbeitung nun verwandelt?
Schauen wir uns die Holzschnitte hier einmal genau an: allen ist eine enorme Leichtigkeit eigen, die von der Feinheit des Papiergrunds, von den Besonderheiten der verwendeten Aquarellfarbe und der fast schwebenden genialen Magnethängung unterstrichen wird. Dies ist die erste Verwandlung, die den Betrachter berührt. Gewöhnlich sieht man Holzschnitten die Schwere des Herstellungsmaterials, der Druckstöcke und Hölzer, an. Eva Pietzckers Arbeiten überraschen mit einem extrem malerischen Eindruck. Besonders eindrücklich ist diese Kunstfertigkeit in den Blumenstilleben zu beobachten, bei denen eine für Holzschnitte schon magische, dreidimensionale Wirkung erzeugt wird.
Eine weitere Verwandlung vollzieht sich auf Motiveebene. Genau kann ich diesen Verwandlungseffekt nicht beschreiben. Zum Teil findet sich eine Erklärung aber sicher in der Jahrhunderte alten japanischen Tradition des Holzschnitthandwerks wieder, in der Motive, z.B. vom heiligen Berg Fuji, wieder und wieder reproduziert wurden, bis sich diese wiederkehrende Motive in das kollektive Bildgedächtnis eingegraben haben und fortan bei jedem Betrachter mitschwingen.
Auch der ja auf Vervielfältigung ausgelegte Vorgang des Druckens verstärkt diesen Eindruck noch. Das gedruckte Motiv verlässt seine Einzigartigkeit und reiht sich ein in eine “geklonte” Gesellschaft - ob nun im Nacheinander historisch oder im Nebeneinander seriell. Dadurch wird plötzlich aus einem Berg in Wyoming DER BERG, aus einem Fluss irgendwo in Kanada DER FLUSS. Aus einem Blick auf den Rhein DER RHEIN, die Düne, auf die sich Eva Pietzcker an der Ostsee zufällig fallen gelassen hat, wird zu DER DÜNENLANDSCHAFT.
Eva Pietzckers im Prozess des Sehens - wir erinnern uns, das war der “geniale künstlerische Moment” - individueller, persönlicher, skizzierter Blick transformiert sich in etwas Größeres. Synchrone und diachrone Eigenheiten des Druckes erheben diese Motive zu IDEALBILDERN, zu Prototypen, bereit, sich in unser kollektives Bildgedächtnis zu reihen. Das sind jene Bilder, die wir im Kopf haben, wenn jemand zu uns sagt, man wäre im Urlaub an der Ostsee gewesen, oder in Japan.
Die Autorität für den Eintritt in diesen doch adeligen, erlauchten Kreis der in unseren Köpfen abgespeicherten Idealbilder, sozusagen den Typusvorstellungen “Düne, Rhein, Berg, Meer, See usw.” wird uns von der technischen Meisterschaft erteilt, mit der Eva Pietzcker ihre Drucke ausführt. Niemand würde bei der Einlasskontrolle Einspruch einlegen, weil er einen Fehler entdecken könnte, eine Fälschung nachweisen. Jeder Schatten, jede Spiegelung, jeder Verlauf ist genau dort, wo er sein muss. So schleichen sich Eva Pietzckers ganz eigene, ganz privaten Blicke in unser visuelles Gedächtnis.
Ist das nicht ganz schön subtil, wie Eva Pietzckers Bilder sich auf diese Art in unseren Bilderspeicher einnisten und ewig abrufbar sein werden, wann immer jemand zukünftig ‘Rhein” sagt, “Kanada” oder “Wyoming”?
Eine weitere, bislang nicht genügend gewürdigte Seite an den Arbeiten von Eva Pietzcker ist: die Person Eva Pietzcker selbst. Wenn man sich fragt, warum die Perfektion ihrer Holzschnitte einen so hohen Grad erreicht, dann glaube ich, liegt das auch an ihrem offenen, freundlichen und fröhlichen Geist und Gemüt. Ein künstlerischer Impuls kann, wenn er durch eine Person, die so offen ist wie sie, unbeeinflusst und nahezu ungefiltert in das Kunstwerk umgeleitet werden. Die Genialität der Arbeiten liegt nicht in einer grellen Verfremdung, sondern im zurückhaltenden, kristallenen, puren Durchleiten ihres Bildes auf das japanische Papier wie durch eine makellose, durchsichtige Glasröhre.
Nur so ist die zweifellos mächtige Wirkung dieser Drucke auf uns zu erklären.
Vielen Dank Eva, dass Du Deine tollen Bilder hier zeigst. Vielen Dank Dir und Ulrike, dass Ihr sie auch so fantastisch aufgehängt habt. Vielen Dank Ihnen allen, die Ausstellung ist hiermit eröffnet!
Matthias Hassenpflug, Buchhandlung Braun und Hassenpflug, Berlin, 25.06.2016
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