Radierung
Die Radierung (lat. radere = kratzen, schaben) ist ein Tiefdruckverfahren:
gedruckt werden die tiefer liegenden Bereiche der Druckplatte. Mit einer Nadel
wird in die Platte gekratzt, mit Säure werden Vertiefungen hineingeätzt.
Zum Druck wird die Platte mit Farbe eingerieben und mit einem gazeartigen Tuch
wieder blankgewischt, wobei die Farbe in den Vertiefungen hängenbleibt.
Die eingefärbte Platte wird mit einem angefeuchteten Papier bedeckt bei
hohem Druck durch eine Walzenpresse gezogen, wobei die Farben aus den Vertiefungen
herausgehoben wird und ein seitenverkehrter Abdruck entsteht.
Zu den Tiefdruckverfahren gehören auch Kupferstich und Mezzotinto (s. u.).
Geschichte
Die Entwicklung der Radierung ist gleichermaßen verbunden
mit der Entstehung von Papiermühlen ab 1390
und der Arbeit von Gold- und Waffenschmieden. Das Schneiden
und Gravieren von Metall sowie das Einfärben der Vertiefungen waren lange
bekannt. Zum Festhalten von Entwürfen wurden gravierte Motive ohne und
mit Farbe auf Papier abgerieben. Von dort war es nur ein kurzer Schritt zum
Gebrauch der Technik als einem künstlerischen Mittel der Vervielfältigung.
Die ersten Tiefdrucke waren Kupferstiche und entstanden vermutlich
in den 1430ern. Beim Kupferstich werden die zu druckenden Linien mit Sticheln
aus Stahl aus der Platte regelrecht herausgehoben. Der Tiefdruck entwickelte
sich somit einige Jahrzehnte nach dem Holzschnitt, was daran lag, dass er um
einiges komplizierter war als der Holzschnitt, der sich außerdem aus dem
schon länger bekannten Schnitt von Stempeln entwickelt hatte. Anders als
dieser, auch aufgrund der größeren technischen und bildnerischen
Feinheit, wandte er sich eher an ein aristokratisches bzw. wohlhabendes bürgerliches
Publikum. Tiefdrucke war auch deswegen beliebt, weil sie das Sammeln von Kunst
zu erschwinglichen Preisen ermöglichten. Im Vergleich mit dem Holzschnitt
waren die Motive des Kupferstichs weltlicher.
Abb.: Linienätzung mit Aquatinta, 1990
Der frühe Kupferstich entwickelte sich
in der südwestlichen Ecke Deutschlands und in der Schweiz
(wenn es auch durchaus Einflüsse auf den Osten gegeben hat, so ist der
Tiefdruck eine europäische Drucktechnik). Die ersten Kupferstecher
waren heute namentlich nicht mehr bekannte Goldschmiede (deren
Ausbildung auch das Zeichnen beinhaltete). Erste herausragende Stiche schufen
der "Meister der Spielkarten", dessen Hauptwerk ein Kartenspiel ist,
und der Meister E. S. neben vielen anderen.
Für einige Zeit wurde die Technik hauptsächlich von
Künstlern übernommen, wie z. B. Martin Schongauer
sowie Hendrik Goltzius und Lucas van Leyden aus den Niederlanden. Die Motive
jener Arbeiten waren sowohl religiöser als auch weltlicher Art. Während
sich die deutschen Künstler bei einem höheren technischen Standart
stilistisch mehr an das Mittelalter anlehnten, entwickelten die italienischen
Künstler der Renaissance wie Andrea Mantegna und Maso Finiguerra weitaus
freiere Drucke.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam die Technik
der Kaltnadelradierung auf: das direkte Einritzen von Linien
in die Platte mit Hilfe einer spitzen Nadel. Als erste Drucke dieser Technik
gelten die Drucke des "Meisters des Hausbuchs", der zwischen 1465
und 1500 in Deutschland arbeitete. Da der dabei sich aufwerfende Grat auf der
Platte beim Drucken schnell wieder niedergedrückt wurde und nur wenige
Abzüge gedruckt werden konnten, wurde diese Technik von vielen Künstlern
vor allem zum Überarbeiten von bereits geschnittenen oder geätzten
Platten verwendet.
Wie im Holzschnitt kommt auch im Kupferstich Albrecht
Dürer (1471-1528) aus Nürnberg eine besondere Bedeutung zu.
Durch seine Italienreisen mit den italienischen Stichen der Renaissance vertraut,
schuf er Drucke, die diese Technik auf eine völlig neue Stufe hoben.
Er arbeitete vorübergehend auch in einer damals neuen Technik, der Linien-Ätzung,
die sich Ende des 15. Jahrhunderts entwickelte. Sie ermöglichte ein spontaneres
und leichteres Arbeiten, da Linien nicht mehr direkt in die Platte geschnitten
oder gekratzt werden mussten, sondern mit lockerer Hand in eine auf der Druckplatte
befindliche dünne Wachsschicht gezeichnet und später in einem Säurebad
vertieft werden konnten. Erste Künstler, die damit arbeiteten, waren der
Schweizer Urs Graf und Daniel Hopfer aus Augsburg. Die Linien-Ätzung wurde
oft auch mit dem Stich kombiniert. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Ätz-Radierung
als künstlerisches Ausdrucksmittel von Malern und Graphikern
wie Rembrandt und Claude Lorrain oder später Tiepolo und Piranesi verwendet.
Der Kupferstich hingegen wurde seit Mitte des
17. Jahrhundert vorwiegend von Kupferstechern, meist auf Auftrag
von Verlagen oder auch Künstlern ausgeübt. Seine Aufgabe war es, bestehende
Vorlagen zu Reproduktionszwecken in den Kupferstich zu übersetzen, u. a.
zur Vervielfältigung von Kunstwerken, zur Illustration von Büchern
und Herstellung von Landkarten.
Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Flächenätzung,
Aquatinta, entwickelt und damit die Möglichkeit, gleichmäßige
Flächen von verschiedenen Dunkelwerten zu erzeugen. Sie wurde allerdings
erst im 18. Jahrhundert allgemein bekannt. Ein Meister der Aquatinta war Francisco
Goya, der als Hofmaler am spanischen Königshof dessen Kehrseite in seinen
"Caprichos" zum Ausdruck brachte.
Der Kupferstich allerdings verlor mit dem Aufstieg des Holzstichs im 19. Jahrhundert und mit der Erfindung von Photographie und Lithographie an Bedeutung.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ergab sich ein Umbruch in der
Bewertung von Druckgraphik und es entstand der Begriff der "Künstler-"
oder "Originalgraphik". Druckgraphik schaffende Künstler
schlossen sich in Vereinigungen zusammen. Meist waren dies Maler, die zeitweise
druckgraphisch arbeiteten, wobei sie ihre Druckplatten selbst herstellten und
sie teilweise auch selbst druckten, wobei diese Schritte ensprechend kreativ
behandelt wurden. Drucke wurden erstmals signiert. Zunächst erfuhr neben
der Lithographie besonders die Radierung neue Beliebtheit, oft auch von Verlegern
in Buch- oder Mappenform herausgegeben. Künstler, die damit arbeiteten,
waren in Frankreich Künstler der "Barbizon Schule" und einige
der Impressionisten, in Deutschland Impressionisten wie Liebermann oder Slevogt,
auch Käthe Kollwitz und die Expressionisten, u. a. Beckmann. Zu einer Aufbruchsstimmung
in den graphischen Techniken trug auch der Berliner Verleger Paul Cassirer bei,
der 1909 das einflussreiche Buch "Die Kunst des Radierens" von Hermann
Struck verlegte, wodurch die Technik bei einem größeren künstlerischen
Publikum bekannt wurde.
Abb.: Kaltnadel, 100 x 70 cm, 1992
Technik
Kupferstich
Mit Grabsticheln aus gehärtetem Stahl und von verschiedenen
Querschnitten werden Linien in eine Platte aus Kupfer (in der Frühzeit
aus Messing) geschnitten. Der dabei entstehende beidseitige Grat wird später
mit einem Schaber entfernt.
Kaltnadel
Die Kaltnadel ist die einfachste und direkteste Zeichentechnik
im Tiefdruck. Mit einer spitzen Nadel aus Stahl wird die Zeichnung direkt in
eine Metallplatte geritzt, wodurch eine Vertiefung mit einem Grat entsteht.
Beim Einfärben der Platte bleibt Farbe nicht nur in der Vertiefung, sondern
auch am Grat hängen, wodurch die gedruckte Linie einen spezifischen weichen
und tiefen Charakter hat. Dieser Grat wird allerdings nach einigen Drucken wieder
zusammengedrückt bzw. in die Vertiefung zurückgedrückt, so dass
nur kleine Auflagen möglich sind.
Linienätzung oder Hartgrund
Dazu wird die Platte mit einer Wachs- oder Lackschicht überzogen
(und eventuell mit Ruß eingefärbt um die Zeichnung besser sehen zu
können). In diese Schicht wird mit einer Nadel hineingezeichnet, wodurch
das Metall freigelegt wird. Im Säurebad zersetzt die Säure diese freigelegten
Stellen, wobei Vertiefungen entstehen. Es ergeben sich, abhängig von der
Ätzdauer, der Art der Säure und des benutzten Abdeckmediums mehr oder
weniger feine bzw. tiefe Linien.
Vernis Mou oder Weichgrund
Die Platte wird mit einem speziellen Wachs beschichtet,
welches nicht härtet, sondern weich bleibt. Auf die beschichtete Platte
wird ein dünnes Papier gelegt, auf das mit verschiedenen Zeichengeräten
(z.B. Bleistifte verschiedener Härten, Kreiden etc.) und durch darauf gelegte
Materialien wie Stoff gezeichnet werden kann. Das Wachs bleibt an der Rückseite
des Papiers kleben, wodurch das Kupfer freigelegt wird. Die bearbeitete Platte
wird im Säurebad geätzt. Die Charakteristika der verwendeten Zeichenmittel
zeigen sich im Druck deutlich.
Aquatinta oder Flächenätzung
Zur Ätzung von Flächen mit verschiedenen Dunkelwerten
wird auf die Platte ein säurefestes Raster aufgebracht. In der traditionellen
Radierung wird die Platte mit einem feinen Korn aus Asphalt- oder Harzstaub
bestäubt. Das Bestäuben geschieht mit der Hand oder in einem sog.
Staubkasten. Der dort befindliche Staub wird in Bewegung versetzt und die Platte
in den Kasten gelegt, sodass sich der Staub auf ihr niederlegt. Die bestäubte
Platte wird von unten erhitzt, wodurch der Staub anschmilzt und in gehärtetem
Zustand säurefest wird. Das Aquatintakorn kann auch aufgesprüht werden.
Im Säurebad wird die Platte zwischen den aufgebrachten Körnern angegriffen.
Je nach Länge der Ätzzeit ergeben sich verschiedene Vertiefungsstufen,
die verschieden viel Farbe aufnehmen und im Druck einen entsprechend tiefen
Ton ergeben. Um diese verschiedenen Stufen zu ätzen, werden zwischen den
Ätzgängen die Stellen, die nicht länger ätzen, d.h. im Druck
nicht dunkler werden sollen, mit einem Lack abgedeckt.
Abb.: Aquatinta, 2003
Blindätzung
Wenn offenliegende Flächen einer Platte geätzt werden,
ohne dass ein Aquatintakorn aufgebracht wurde, wird die Platte an diesen Stellen
gleichmäßig dünner. Wenn sie zum Druck eingefärbt wird,
bleibt die Farbe beim Auswischen nur an den Kanten dieser Flächen hängen,
was im Druck keine Flächen, sondern Linien ergibt.
Mezzotinto oder Schabkunst
Vor Beginn wird die ganze Platte gleichmäßig
mit einem Wiegemesser aufgerauht. Mit einem Schaber oder Polierstab werden diese
Höhenunterschiede im kreativen Prozess mehr oder weniger eingeebnet. Auf
diese Art werden die dunkel druckenden Stellen aufgehellt, wodurch sich je nach
dem Grad des Polierens im Druck die verschiedensten Stufen ergeben.
Literatur
Brown, Kathan: "ink, paper, metal, wood", Chronicle
Books, San Francisco, 1996
Mayer, Rudolf: "Gedruckte Kunst", VEB Verlag der Kunst,
Dresdnen, 1984
Sotriffer, Kristian: "Die Druckgraphik – Entwicklung,
Technik, Eigenart", Schroll & Co, Wien, 1966
Saff, Donald and Sacilotto, Deli: "Printmaking: History
and Process", Wadsworth Inc Fulfillment, New York, 1978
Wye, Deborah: "Artists & Prints – Masterworks
from the Museum of Modern Art", The Museum of Modern Art, New York, 2004
|